Gerd Zacher: 700.000 Tage später

Gerd Zacher (*1929) studierte an der Detmolder Musikakademie Orgel und Komposition. In besonderem Maße beeinflußt wurde er durch Olivier Messiaen. 1970 erhielt er eine Professur sowie die Leitung der Kirchenmusikabteilung an der Folkwang-Hochschule Essen. Bekannt wurde er vor allem als Interpret zeitgenössischer Orgelmusik; aber auch seine Kompositionen fanden große Anerkennung.

"700.000 Tage später" entstand im Jahr 1968. Das Werk für 12 bis 28 Mitwirkende gliedert sich im Ablauf durch die Folge der Seiten, das Umblättern wird zur gemeinsamen Orientierung. Die Partitur besteht aus einem Hauptteil, mit vielen weißen Flecken, und einem Anhang. Mit dem Material dieses Anhangs wird das eigentliche Werk aufgefüllt. Dazu gesellen sich diverse Texte und Aktionen des alltäglichen und nicht alltäglichen Umgangs: die gesungene Zeitungskritik einer Musikaufführung; die Schilderung einer Begebenheit unter dem Thema "Recht behalten"; ein Passionslied rückwärts auf "nä-nä" gesungen; Sätze eines Nachrichtensprechers aus dem Radio; ein Passionslied gepfiffen; arabischer Gesang .....
Dies alles wird zusammengehalten durch den Text des Lukas-Evangeliums. Er liegt dem Ablauf der ganzen Komposition zugrunde, taucht aber nur gelegentlich an die Oberfläche der ausgesprochenen Verständlichkeit auf.

Der Komponist schreibt zu seinem Werk: "Die Partitur ist so angelegt, daß jeder Chorsänger sein eigenes Heft mit seinem eigenen Stimmverlauf hat. Diese Hefte sind zum Teil von jedem Einzelnen selbst ausgearbeitet worden, indem er musikalische Entscheidungen fällte, musikalisches Material sammelte und auch gelegentlich kompositorisch tätig wurde - nach bestimmten Anweisungen der Partitur. Dabei sind vielerlei Arten von Absprachen untereinander getroffen worden. Es kann also vorkommen, daß man hin und wieder so viele Musiken gleichzeitig zu hören bekommt, wie Chorsänger vorhanden sind.
Die Musik ist 'in die Hände der Menschen gefallen', sie erduldet, daß man sie aufschreibt, vorsingt, anhört; denn nur dadurch gibt es sie bei uns. Sie wird selbst zum Gleichnis für das befreiende Leiden Christi. Zum Gleichnis gehört aber in der Bibel immer der Satz: 'Wer Ohren hat zu hören, der höre'.
Die alten Meister haben für ihr 'armes Lied' um gnädige Aufnahme beim Empfänger gebeten. Ich möchte aus guten Grund diese Tradition fortsetzen."
[Ingo Schulz]

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